Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Gnädigen
7:20 Da flüsterte der Satan den beiden ein, um ihnen vorzuzeigen, was ihnen von ihrer Schlechtigkeit verborgen geblieben war, und sagte: Euer Herr untersagte euch diesen Baum nur, damit ihr nicht zu Engeln werdet oder unter den ewig Lebenden seid
Die Erzählung von Adam und seiner Partnerin im Garten Eden ist ein zentraler Bestandteil der islamischen Lehre und stellt den Ursprung des moralischen Bewusstseins des Menschen dar. Traditionelle Interpretationen haben sich oft auf die „Blöße“ von Adam und seiner Partnerin konzentriert und die Enthüllung ihrer Nacktheit als Hauptpunkt dieser Geschichte verstanden. Diese Deutung ist nicht vollständig falsch, lässt jedoch einen tieferen Aspekt unberücksichtigt: die Offenbarung moralischer Erkenntnis und die Fähigkeit, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden. In diesem Artikel beleuchten wir die erweiterte Perspektive auf den Vers, insbesondere die Bedeutung des arabischen Begriffs سوءتهما (saw’atihima), und erklären, warum die Übersetzung als „Schlechtigkeit“ oder „Unvollkommenheit“ eine präzisere Darstellung der Absicht des Verses sein kann.
1. Traditionelle Ansicht: Fokus auf Nacktheit und Scham
Traditionelle Auslegungen des Verses, in dem Satan Adam und seiner Partnerin die verborgene سوءتهما (saw’atihima) aufzeigt, betonen häufig die Enthüllung der körperlichen Blöße. Diese Interpretation legt nahe, dass die ursprüngliche „Unschuld“ von Adam und seiner Partnerin durch die Versuchung verloren ging, wodurch ihnen plötzlich ihre Nacktheit bewusst wurde. Demnach verstehen viele Kommentatoren die Enthüllung ihrer saw’a als Symbol für ihre Verletzlichkeit und ihre Scham über die neu erkannte Körperlichkeit, die sie zuvor nicht beachtet hatten.
Diese Ansicht betont eine Art „Kindheitszustand“, in dem Adam und seine Partnerin nicht das Bewusstsein für ihre körperliche Blöße und Scham entwickelt hatten. Mit der Verführung durch Satan und dem Essen vom Baum wird dieser Zustand überwunden, und sie nehmen ihre Körper als etwas wahr, das verhüllt werden muss.
2. Erweiterte Perspektive: Die Enthüllung moralischer Erkenntnis und der Unterschied zwischen Mensch und Tier
Der Begriff سوءتهما (saw’atihima) ist ein vielseitiges Wort, das sich auf etwas Schlechtes, Unerwünschtes oder Unvollkommenes bezieht. In diesem Fall deutet es jedoch auf eine tiefere, moralische Komponente hin, die über das rein Körperliche hinausgeht. Der Mensch wird hier nicht einfach auf seine Blöße aufmerksam, sondern vielmehr auf das Konzept von „Schlechtigkeit“ und moralischen Unterscheidungen. Diese Bedeutung von سوء saw’a schließt ein neues Bewusstsein ein, das ethische Normen und menschliche Schwächen umfasst.
Der Übergang zur Erkenntnis von richtig und falsch: Mit der Verführung durch Satan wird Adam und seiner Partnerin plötzlich bewusst, was richtig und was falsch ist – eine Erkenntnis, die Tiere nicht besitzen. Das Bewusstsein für die eigenen Schwächen und die Schlechtigkeit ist dabei keine rein äußerliche Enthüllung, sondern ein inneres Erwachen. Sie erkennen, dass es Handlungen und Entscheidungen gibt, die moralisch bewertet werden können und die in eine Gemeinschaft von Verantwortung eingebettet sind. Dies ist der Moment, in dem der Mensch seine Rolle als moralisch handelndes Wesen annimmt und sich von der Instinkthandlung des Tieres unterscheidet.
3. Der Mensch als moralisch und intellektuell handelndes Wesen
Mit dem Bewusstsein für Schlechtigkeit und moralische Verantwortung beginnt der Mensch, ethische Entscheidungen zu treffen und Normen zu bilden, die den Grundstein für eine funktionierende Gemeinschaft legen. Diese Einsicht gibt Adam und seiner Partnerin die Fähigkeit, Entscheidungen zu reflektieren und Verantwortung für die eigenen Taten zu übernehmen. Hier zeigt sich ein zentraler Unterschied zu Tieren: Während Tiere instinktiv handeln, entwickelt der Mensch ein Bewusstsein für Normen und Konsequenzen, das ihn zum moralisch handelnden Wesen macht. Diese moralische Reflexion ist der erste Schritt zur Entstehung eines reifen Bewusstseins und einer verantwortungsvollen Gemeinschaft.
4. Warum „Schlechtigkeit“ als Übersetzung passender ist
Vor diesem Hintergrund erscheint die Übersetzung des Begriffs سوءتهما (saw’atihima) als „Schlechtigkeit“ oder „Unvollkommenheit“ treffender als „Blöße“. Diese Wahl verdeutlicht den Moment der moralischen und intellektuellen Reifung, der nicht nur die körperliche Enthüllung, sondern auch das Erkennen menschlicher Schwächen und die Fähigkeit zur ethischen Unterscheidung umfasst. Die Entscheidung, den Begriff in unserer Übersetzung als „Schlechtigkeit“ wiederzugeben, spiegelt die tiefere Bedeutung des Verses wider und hebt hervor, dass die Erkenntnis des Menschseins weit über die bloße körperliche Nacktheit hinausgeht.
5. Zusammenfassung
Die Erzählung von Adam und seiner Partnerin im Quran handelt nicht nur von der Entdeckung der Blöße, sondern vielmehr von der Offenbarung einer inneren Schlechtigkeit und moralischen Verantwortung, die den Menschen von Tieren unterscheidet. Mit der Einsicht in سوءتهما (saw’atihima) betont der Quran den Übergang des Menschen zu einem Wesen, das sich seiner moralischen Pflichten bewusst ist und zwischen richtig und falsch unterscheiden kann. Die Wahl des Begriffs „Schlechtigkeit“ verdeutlicht diesen wichtigen Aspekt und zeigt, dass die Menschheit mit dem Sündenfall eine neue Ebene des Bewusstseins erreicht, die die Grundlage für ihre Rolle als moralische und intellektuelle Wesen bildet.
Diese tiefere Interpretation der Geschichte von Adam und seiner Partnerin erweitert das Verständnis des Quran und gibt Aufschluss über die ethische Dimension menschlicher Existenz.